Rückblick auf fünf Jahrzehnte Theaterleben in Friedrichsdorf:
Die „Theatergruppe Friedrichsdorf von 1957 e.V.
Es war einmal …
… ein Schauspielschüler namens Klaus Waldschmidt, der Anfang der 50er Jahre mit einigen theaterinteressierten Friedrichsdorfern den „Tartuffe“ von Molière einstudierte – für die meisten waren es die ersten Schritte auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“, was der Begeisterung aber keinen Abbruch tat. Im Gegenteil, schon bald grassierte das Theaterfieber, und immer mehr Leute wollten dabei sein. Den Nachbarn war das Trüppchen zunächst suspekt, wusste man doch nicht, „ob die Theaterleut‘ net am End‘ noch die Wäsch‘ von de Lein‘ klaue!“ Allen misstrauischen Blicken zum Trotz machte Klaus Waldschmidt zusammen mit 26 Gleichgesinnten Nägel mit Köpfen und gründete am 13. Juni 1957 die Theatergruppe Friedrichsdorf.
Die ersten 10 Jahre …
In den zehn Jahren danach inszenierten Klaus und seine Mitstreiter mit teilweise einfachsten Mitteln so bekannte Stücke wie „Der Datterich“, „Der Biberpelz“, „Biedermann und die Brandstifter“, „Romulus der Große“ und „Die Physiker“. Requisiten und Kostüme stammten zumeist aus den Privatbeständen der Mitspieler, und so mancher verzichtete für ein paar Tage auf seinen Wohnzimmertisch oder die eine oder andere Kommode, weil diese für das Bühnenbild gebraucht wurden. Ein ganz besonderes Highlight in der jungen Vereinsgeschichte war die Teilnahme an den Kulturwochen des „Bundes Deutscher Volksbühnenspieler e.V.“ im August 1961 in Berlin. Die Theatergruppe Friedrichsdorf war als Vetreter der hessischen Bühnen mit „Biedermann und die Brandstifter“ im Repertoire nach Berlin gefahren, und die Ankunft erfolgte ausgerechnet am Tag des Mauerbaus…
Die Gruppe wird selbständig …
Das 10jährige Jubiläum feierte die Gruppe mit „Wir sind noch einmal davongekommen“ von Thornton Wilder. Inzwischen hatte sich die Theatergruppe über Friedrichsdorf hinaus einen Namen gemacht und wurde immer bekannter. Klaus Waldschmidt und einige andere Gründungsmitglieder „übergaben“ das aktive Vereinsleben nach und nach an den „Nachwuchs“. Theaterbegeisterte, die im Geiste der Gründer mit neuen Ideen weitermachten. Sie entdeckten den Charme der leichteren Unterhaltung und führten unter anderem einige Stücke von Autoren wie Curt Goetz und Georges Feydeau auf. Anlässlich des 20jährigen Bestehens spielte die Gruppe „Die deutschen Kleinstädter“ von Kotzebue.
Die Achtziger …
Zum Auftakt der 80er Jahre inszenierte Peter Fischer die „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill (live gesungen und mit einem siebenköpfigen Orchester!). Die Lieder sind noch heute in den Köpfen derer, die damals mit zitternden Knien erstmalig vor Publikum singen mussten. Und so mancher der Sänger erinnert sich noch immer sehr genau an seine Liedertexte von damals. Mit dem 25jährigen Jubiläum 1982 stand Max Frischs „Don Juan oder die Liebe zur Geometrie“ auf dem Programm.
1987 folgte die Uraufführung „Pierre der Mensch“ von Dagmar Scherf (Musik: Niels Kaiser) unter der Regie von Heidi Enslin – ein Stück über 300 Jahre Friedrichsdorfer Stadtgeschichte zum eigenen 30jährigen Jubiläum inszeniert und gleichsam als Beitrag zur 300-Jahr-Feier der Stadt geplant.
Aber es kam anders: Die Tatsache, dass die Autorin einen Bezug zwischen Hugenotten und Asylanten hergestellt hatte, missfiel den Stadtverordneten. Per Magistratsbeschluss wurde „Pierre der Mensch“ vom Jubiläumsprogramm genommen. Aufgeführt wurde es natürlich trotzdem, und das mit großem Erfolg: Die Presseresonanz war so groß wie bei keinem Stück zuvor. „Pierre der Mensch“ wurde ein Highlight in der Geschichte der Theatergruppe.
Klaus Waldschmidt, schon einige Jahre beruflich nach Gelnhausen „ausgewandert“, gab ab und an ein Gastspiel in Friedrichsdorf: 1988 inszenierte er zum zweiten Mal als Regisseur den „Datterich“ und übernahm dafür auch wieder – köstlich gespielt – die Hauptrolle.
Zwei weitere Uraufführungen in den Neunzigern …
1996 kam erneut ein Stück von Dagmar Scherf zur Aufführung – das Historical „Homburger Hexenjagd oder Wann ist morgen?“. Es wurde als Gemeinschaftsproduktion mit der Studiobühne Bad Homburg auf der Freilichtbühne vor der historischen Kulisse der Homburger Altstadt uraufgeführt. (Regie: Heidi Enslin und Helga Ostermeyer).
Drei Jahre später folgte im Auftrag der Stadt Friedrichsdorf „Die kleinen Stimmen“ von Olaf Velte (Regie: Anette Zimmermann) – ein Stück über Philipp Reis, das anlässlich seines 125. Todestages gezeigt wurde. Die Aufführungen fanden unter freiem Himmel statt. Mit einer der Schlüsselszenen wurde das Ensemble von der Stadt Gelnhausen für ihr historisches Stadtfest engagiert – Straßentheater pur. Es galt die vorüberziehenden Passanten mit dem Spiel zu fesseln und zum Bleiben zu bewegen. Das war eine völlig neue Form der Präsentation für die Aktiven. Und so waren alle hocherfreut, dass sich bei jeder der sechs Aufführungen eine Menge Leute zusahen. Der Autor der „kleinen Stimmen“, Olaf Velte, erhielt 2003 ein Stipendium des Frankfurter Vereins für Künstlerhilfe, der in jedem Jahr besonders vielversprechende Künstler fördert, sowie den Schiller-Förderpreis der Stadt Weimar.
Natürlich keine Weltpremiere, aber ein echtes Highlight waren die Aufführungen von Goethes „Urfaust“. Helga Ostermeyer wagte sich 1991 an diesen schwierigen klassischen Text, den sie um das „Vorspiel auf dem Theater“ und um „Die Hexenküche“ aus dem „Faust“ ergänzte. Es entstand eine moderne Inszenierung mit starken farbigen Bühnenbildern, Kostümen und Masken. Es gab Kollagen aus moderner Musik, Lichteffekte und technische Finessen. Sowohl die Mitspieler als auch das Publikum waren so begeistert, dass es im Frühjahr 1992 zu weiteren Aufführungen kam.
Mit der Inszenierung von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ 1995/96 zeigte Heidi Enslin als Regisseurin ihre Leidenschaft auch für das klassische Theater. In ihrer Inszenierung spürte man deutlich, wie zeitlos die Texte Shakespeares noch immer sind.
1996 wagte die Theatergruppe mit „Boeing-Boeing“ erstmals die Inszenierung einer Boulevardkomödie. Regie führten hier die Schauspieler selbst – ein absolutes Novum und ein Riesenspaß für Publikum und Mitwirkende.
Das 40-jährige Jubiläum …
1997 wurde der Verein 40 Jahre alt. Die Gruppe entschied sich, zum Jubiläum „Einer für Alles“ von Alan Ayckbourn (Regie Helga Ostermeyer) zu spielen. Das Stück dreht sich um eine Amateurtheatergruppe – die Schauspieler spielten Schauspieler, also praktisch sich selbst.
Im Jahr nach dem Jubiläum spielte die Theatergruppe Dario Fos satirische Komödie „Bezahlt wird nicht“ (Regie: Heidi Enslin), ein durchaus gesellschaftskritisches Stück, gepaart mit viel Witz und Turbulenz, was den Mitwirkenden wie auch den Zuschauern viel Spaß gemacht hat.
Noch im Philipp Reis Jahr 1999 inszenierte die Theatergruppe mit „Außer Kontrolle“ ein zweites Stück – eine gelungene Boulevardkomödie mit gekonnt dargestellten Verwechslungen, Verstrickungen, Charaktertypen, Spielspaß und pausenlose Lacher beim Publikum (Regie: Britta Gottfried).
2000 …
Die nächsten Jahre wurden ebenfalls gekennzeichnet durch ein sehr abwechslungsreiches und vielseitiges Repertoire.
2000 sollte es wieder ein „Klassiker“ sein. Shakespeare! Inszeniert wurde „Die zwölfte Nacht oder: Was ihr wollt“. Unter der Regie von Heidi Enslin tauchten die Spieler mit dem Publikum in in Herzog Orsinos schöne Traumwelt in Illyrien, eine Liebeskomödie mit den für Shakespeare typischen erfüllten und unerfüllten Sehnsüchten, Verwechslungen, Rollentauschspielen und einem guten Ende für alle.
Unser Vereinsgründer Klaus Waldschmidt übernahm dann im Jahr 2001 die Regie. Die Truppe spielte Carlo Goldonis „Der Diener zweier Herren“, nach etwa 30 Jahren wieder aufgenommen, mit demselben Spielleiter wie seinerzeit – aber inzwischen anderen Spielern.
Die Geschichte dreht sich um Truffaldino (Jörg Ernst), der eben für zwei Herren gleichzeitig arbeiten will und so sich doppelten Lohn und doppelte Verpflegung erhofft – Und so darf keiner von den Herren von dem anderen etwas wissen. Zunächst ging das ja auch alles gut, zunächst, aber dann kam das große Durcheinander.
2002 gingen wir mit der Zeit: Inszeniert wurde ein Stück über die moderne Arbeitslosigkeit unnütz gewordener Manager, „Top Dogs“ von Urs Widmer. Regie führte Heidi Enslin, die mit der Auswahl des Stückes eine für uns neue Richtung eingeschlagen hatte. Dieses Mal weder Lustspiel noch historische Tragödie und auch kein Boulevardstück.
Stattdessen eine Psycho-Tragikomödie, das statt einer chronologischen Handlung fast collagenhaft darstellt, wie unterschiedliche Charaktere mit einer Ausnahmesituation umgehen. Dass die Charaktere allesamt ehemalige Topmanager sind, die unerwartet arbeitslos geworden sind, gibt den Stück einen sehr aktuellen Bezug. Die Inszenierung bedeutete für Heidi eine sehr sorgfältige Vorbereitung gefolgt von einer harten Probenzeit, in der sie mit dem Ensemble die einzelnen Szenen erarbeitete.
Mit dem amerikanischen Bühnenklassiker „Hexenjagd“ (Originaltitel: „The Crucible“) von Arthur Miller hat Britta Gottfried in 2003 zum zweiten Mal den Regiestuhl übernommen.
Mit seiner Hexenjagd wandte sich Arthur Miller gegen Angst und Massenwahn. Miller schildert am Beispiel dieses historischen Modells ein zu jeder Zeit aktuelles Phänomen: Vernichtungswahn und Massenpsychose, wie sie auch heute noch aus politischen, religiösen oder rassischen Motiven ausbrechen. Wie ist es möglich, dass besonnene Menschen andere plötzlich mit Hass und Verachtung verfolgen?
Für die Herbstaufführung 2004 inszenierte Heidi Enslin das Dreipersonenstück: „Kunst“ von Yasmina Reza: Eine intelligente, temporeiche Komödie über Freundschaft und Toleranz – ein Stück für Männer und Frauen, für Liebhaber und Gegner der modernen Kunst und für alle, die auch mal wieder über menschliche Empfindlichkeiten und männliche Eitelkeitekeiten lachen (oder nachdenken) wollen.
Eigentlich geht es in dem Stück nur um ein „weißes Bild“, das sich Serge, ein gut betuchter Dermatologe, zulegte, allerdings für 200.000… Darüber entbrennt sich ein heftiger Streit zwischen den drei Freunden Serge, Marc und Yvan (Klaus Waldschmidt, Rainer Kremin und Rainer Henrici). Die Presse urteilte: „Kunst erwies sich als geistreiches Meisterwerk anspruchsvoller Bühnenkunst, das mit viel Sprachwitz und Humor menschliche Schwächen zu entlarven vermochte…“. „Hervorragend besetzt“, „behutsam inszeniert“, „eine rundum gelungene Leistung“ war zu lesen.
„Je älter ich werde, desto mehr möchte ich missfallen“
Im folgenden Frühjahr beschäftigte sich die Theatergruppe mit der Figur des Gretchens aus Goethes Faust, in unterschiedlichster Weise: Unter der Regie von Heidi Enslin spielte das Ensemble Lutz Hübners „Gretchen 89ff“. Das Theaterkabarett lässt den Zuschauer in zehn Szenen erfahren, wie neurotisch, exzessiv und tragikomisch es hinter der Bühne zugeht. „Geprobt“ wird die Kästchenszene, also die Szene, in der Gretchen den Schmuck entdeckt, den Mephisto in ihrem Haus deponiert hat, um ihr Herz für Faust zu gewinnen.
Im Schillerjahr 2005 übernahm Peter Fischer die Regie für das Herbststück: „Turandot“ von Friedrich Schiller, der das Märchen von Carlo Gozzi als tragikomische Bühnenfassung bearbeitete. . Das Stück spielt am Hofe des Kaisers von China, an dem der aus seinem Land vertriebene Prinz Kalaf erscheint und um Prinzessin Turandot wirbt, die ihr Jawort allerdings nur demjenigen verspricht, der es vermag, drei schwierige Rätsel zu lösen.
„Opulente Gewänder, starke Gestik und hervorragendes Spiel. … die Schauspieler (ließen) einen Funken überspringen, der mit der Antiheldin leiden und mit dem Prinzen bis zum Schluss hoffen ließ. … sehr gute Inszenierung eines klassischen Stoffes …, wie sie schöner kaum sein kann“, so das Urteil der Presse. Ihr Debüt auf der Bühne der Friedrichsdorfer Theatergruppe hatten Helmut Langer, Thomas Dietzel, Julika Enslin, Sonja Zimmermann und Xenija Zoller.
Heidi Enslin und Klaus Waldschmidt beschäftigten sich im Jahr 2006 mit George Taboris „Mutters Courage“. In einer szenischen Lesung erzählten sie ein Ereignis im Leben von Taboris Mutter, die 1944 verhaftet wird, um nach Ausschwitz deportiert zu werden, weil sie den Judenstern trägt und zur falschen Zeit am falschen Ort ist.
Für das große Stück im Herbst 2006 sollte es nach dem Klassiker im Jahr zuvor eine Komödie mit viel Action sein, die das Publikum zum Lachen bringt, ohne platt zu sein. Heidi Enslin wählte dafür „Hase Hase“ von der französischen Autorin Coline Serreau, ein Stück, das „irgendwo zwischen grotesker Gesellschaftssatire und Science Fiction angesiedelt“ ist, so die Regisseurin. Das Stück erzählt aus dem Leben der Familie Hase. Ruhender Mittelpunkt ist MAMA, die mit nicht enden wollender Energie fünf Kinder großgezogen hat und nun glaubt, dass der Zeitpunkt erreicht ist, an dem alle sicher ihren eigenen Weg gehen können. Aber nichts läuft, wie sie es geplant, organisiert und erhofft hat…
… fünf Jahrzehnte Theater – und die Lust an Spiel und Inszenierung ist noch immer ungebrochen. Heute hat die Theatergruppe rund 75 Mitglieder. Etwa 25 davon sind aktiv dabei. Allen Regisseuren und Schauspielern kommt es bei der Auswahl der Stücke vor allem auf Vielfalt an. Nicht nur Klassiker sollen auf dem Programm stehen, sondern eben auch Boulevardkomödien und moderne Theaterstücke.
Übrigens: mit dem Gründer der Theatergruppe, der heute in Hailer bei Gelnhausen wohnt, wird noch immer guten Kontakt gepflegt: Die Inszenierungen werden fast immer auch in Gelnhausen gezeigt.
Alle bisher aufgeführten Stücke der Theatergruppe Friedrichsdorf finden Sie hier: